Zielen üben

(erschienen 1999 in der Zeitschrift Multimind)

Natürlich wissen Sie, wie man sich vorschriftsmäßig Ziele setzt. Natürlich halten Sie sich an die Regeln und machen sich einen wohlgeformten Satz, ertüfteln einen hübschen Plan und basteln einen tollen ersten Schritt. Und natürlich bringen Sie es Ihren Kunden (Klienten, Schülern, …) genau so bei. Und natürlich erreichen Sie längst nicht jedes Ziel und Ihre Kunden auch nicht…

Erinnern Sie sich – zugegeben, es ist lange her…! – an die Zeit, bevor Sie lernten sich vorschriftsmäßig Ziele zu setzen und erinnern Sie sich an ein großes Ziel, das Sie damals erreicht haben... Hatten Sie einen wohlgeformten Satz? Hatten Sie einen detaillierten Plan?? (Und wenn ja: hat er funktioniert??) Und wissen Sie noch, was Ihr erster Schritt war???

Vermutlich dreimal "NEIN".

Vergessen Sie die Vorschriften.

Noch eine Vorschrift: "Formulieren Sie zuerst Ihr Lebensziel (z.B. 'mein 90ster Geburtstag...'), leiten Sie davon Ihre mittelfristigen Ziele ab, davon Ihre kurzfristigen, davon Ihre Tagespläne!" – Haben Sie versucht? Hat nicht wirklich geklappt?

Angenommen, Sie hätten als Kind ganz gut Flöte gespielt und jetzt seit 20 Jahren keine Flöte mehr angefaßt und nun wollen Sie wieder... Würden Sie mit dem schwersten Stück beginnen? Reinblasen (…wie hält man das Ding eigentlich…?) – geht nicht – wieder weglegen – Frust. Oder würden Sie Ihre ersten Töne nach 20 Jahren vor Publikum auf großer Bühne blasen wollen? Nein? – Aber nach 20 Jahren Abstinenz im Zielesetzen beginnen Sie mit dem Lebensziel. Und Sie wundern sich, daß es nicht klappt und Sie es bald wieder frustriert sein lassen.

Als Kind hatten Sie Ziele, große Ziele. Ich kenne jedenfalls kein Kind, das auf die Frage, was es später einmal beruflich machen wolle, strahlend antwortet: "Angestellter im mittleren Dienst!" – Und in Ihrer Sturm-und-Drangzeit, da wollten Sie bestimmt die ganze Welt verändern, erlösen, befreien. Und heute sind Sie erwachsen, vernünftig, gesetzt. Und kaum wollen Sie sich ein wirklich großes Ziel setzen ("Was würdest Du noch heute beginnen, wenn Du sicher sein könntest, alles was Du anpackst wird Dir gelingen?" (Anthony Robbins)), da kommen die inneren Stimmen und sagen 'Sei vernünftig, sei bescheiden, klappt doch eh' nicht, Du bist zu klein, Du wirst Angestellter, wie Papa, im mittleren Dienst...'

Was halten Sie davon, das Zielesetzen wieder zu üben, die Zielmuskulatur zu lockern und zu kräftigen und dann auf die große Bühne zu treten...!

Beginnen Sie mit einem angemessenen Zeitrahmen: Finden Sie heraus, wie alt Sie sind (in Jahren, notfalls in den Paß kucken!). Nehmen Sie nun diese Zahl

  • in Wochen für Ihre kurzfristigen Ziele,
  • in Monaten für Ihre mittelfristigen Ziele und
  • in Jahren für Ihre langfristigen Ziele.

Dieser Maßstab hat mehrerer Vorteile. Erstens messen Sie Ihre Zeitspannen an sich selbst. Und zweitens werden die Zeitspannen im Laufe des Lebens länger und entsprechen damit unserem subjektiven Zeitgefühl. Für eine Kind ist ein Vierteljahr eine Ewigkeit, alte Menschen denken in Dekaden. Und fragen Sie mal eine Zwanzigjährige nach ihrem Wunschbild für den neunzigsten Geburtstag...! Für die ist Vierzig schon unvorstellbar alt.

Angenommen, Sie wären heute 45 Jahre alt, dann sind es 45 Wochen für die kurzfristigen Ziele (etwa 10 Monate), 45 Monate für die mittelfristigen Ziele (drei Jahre und neun Monate) und 45 Jahre für die langfristigen Ziele. Dann sind Sie neunzig… Und manche sagen jetzt, das schaffe ich sowieso nicht mehr. Deshalb zwei Hinweise:

  1. Unterschätzen Sie nicht den allgemeinen Anstieg der Lebenserwartung und den besonderen Anstieg der Lebenserwartung durch langfristige Ziele: Sie wissen, wofür Sie gebraucht werden!
  2. Irgendwann kommt der Augenblick wo Sie bemerken, daß langfristige Ziele über Ihr Leben hinausgehen und Sie diese nicht nur für sich selbst erreichen, sondern für und mit anderen Menschen.

Beginnen Sie nun, sich zuerst viele kurzfristige und ein paar mittelfristige Ziele zu setzen (z.B. aus den Bereichen Gesundheit, finanzielle Freiheit, Beziehung(en), Lernen, Spiritualität ). Ignorieren Sie vorerst die langfristigen Ziele. Bitte beachten Sie dabei unbedingt den Hinweis von Bodo Schäfer (Der Weg zur finanziellen Freiheit – in sieben Jahren die erste Million; Campus ), daß die meisten Menschen völlig überschätzen, was sie in einem Jahr erreichen können und völlig unterschätzen, was sie in zehn Jahren erreichen können. Erinnern Sie sich ein Jahr zurück, Herbst 1998: Was hat sich seitdem in Ihrem Leben grundlegend, umwälzend, radikal geändert? Kaum etwas? Gar nichts? – Und denken Sie zehn Jahre zurück, Herbst 1989, Mauerfall, etc...: Was ist in dieser Zeit in Ihrem Leben unverändert beim alten geblieben? – Sehen Sie: Die meisten Menschen überschätzen ihre kurzfristigen Möglichkeiten und unterschätzen ihr langfristiges Potential, setzen sich ständig zu hohe Jahresziele, sind ständig frustriert und verplempern so ein Jahrzehnt nach dem anderen. Also: Setzen Sie sich viele kleine kurzfristige Ziele. Zum Üben! Denken Sie an die Flöte! Setzen Sie sich dreißig Zielchen und erlauben Sie sich, zwanzig davon nicht zu erreichen... üben heißt schließlich auch Fehler machen dürfen! Üben Sie Zielesetzen, anpacken, planen, dranbleiben, erreichen. Und wenn Sie's nicht schaffen, ist es auch nicht so schlimm, Sie üben ja noch. (Wenn Sie Zahlenspiele mögen können Sie in den ersten 45 Tagen täglich an Ihren Zielen arbeiten, danach wöchentlich. Gehen Sie es entspannt an!)

Eines Ihrer wirklich wichtigen kurzfristigen Ziele sollte es sein, dreißig mittelfristige Ziele zu formulieren.

Nach kurzer Zeit (Lebensalter in Wochen) sind Sie schon geübter im Zielesetzen. Jetzt packen Sie die mittelfristigen Ziele an: Lebensalter in Monaten. Dieses Päckchen kann schon gewichtiger sein. Und natürlich ist eines Ihrer wichtigsten mittelfristigen Ziele, die langfristigen Ziele zu formulieren, so daß Ihre kurz-, mittel- und langfristigen Ziele im Gleichgewicht sind.

Sie werden wahrscheinlich nicht alle Ihre mittelfristigen Ziele erreichen. In jedem Fall werden Sie in überschaubarer Zeit (weniger als ein durchschnittliches Studium!) Routine und Leichtigkeit im Umgang mit Zielen erreichen.

Und wie setzt man sich nun Ziele, wenn nicht 'nach Vorschrift'?

Finden Sie Ihren persönlichen Stil. Nutzen Sie als Grundlage dazu Ihre eigene bewährte Strategie von 'damals': Wahrscheinlich hatten Sie keinen wohlgeformten Satz. Wahrscheinlich hatten Sie eine internale Repräsentation des Zieles: Ein Bild oder einen Klang oder ein Gefühl oder meinetwegen sogar einen Satz. Eines davon brauchen Sie, besser zwei, drei oder vier davon. (Der Satz schadet nicht, der Satz hilft, aber der Satz ist nicht so wichtig und 'Kopfarbeiter' stürzen sich immer gerne auf den Satz und vergessen dabei, daß das Leben nicht nur aus Worten besteht...!). Besser ist Bewegung: Einen Ziel-Film und eine Ziel-Sinfonie und einen Ziel-Tanz. Und – meinetwegen! – einen Ziel-Roman.

Der Plan ist auch nicht so wichtig. Bei Existenzgründungen ist es sogar so, daß je mehr einer plant, desto seltener wird dann wirklich gegründet. Sie wissen dann einfach zuviel über mögliche Gefahren, Hindernisse, Schwierigkeiten. Fangen Sie also einfach irgendwie an. Aber fangen Sie an! Und der erste Schritt ist auch nicht so wichtig (machen Sie irgendeinen), Hauptsache, es folgt noch ein zweiter Schritt und ein dritter, vierter, fünfter... – Bleiben Sie dran, bleiben Sie aktiv!

Was allerdings wirklich wichtig ist, ist das Warum und Wofür Ihrer Ziele. In manchen mentalen Methoden wird die Warum-Frage nicht eben hoch geschätzt. Trotzdem brauchen Sie eine sehr starke Motivation: 'Warum?' ist Ihre weg-von-Motivation, die Notwendigkeit. 'Wofür?' ist Ihre hin-zu-Motivation, der Wert. Und auf diese beiden Fragen brauchen Sie sehr gute Antworten, sonst geht Ihnen unterwegs die Puste aus.

Wie im richtigen Leben gilt auch beim Zielesetzen: Alleine ist es fast nicht zu schaffen, wenn wenigstens ein Mensch den Weg mit Ihnen geht ist es viel leichter, wenn Sie einen Coach haben geht es fast wie von selbst. Vielleicht wäre einen Coach zu haben ein lohnendes Ziel?

Also: Was Sie wollen, können Sie anfangs ruhig etwas im Unklaren lassen, üben Sie lieber das 'zielen' an sich. Wie Sie es erreichen ist erstmal egal, Hauptsache Sie tun was, kontinuierlich, probieren aus, sammeln Erfahrung, lernen, bleiben dran, verfeinern Ihre Strategie. Warum und wofür Sie es tun ist sehr wichtig. Am Anfang haben Sie vermutlich größtenteils eine weg-von-Motivation. Das ist in Ordnung. Im Laufe der Zeit (kurzfristig? mittelfristig?) werden Sie mehr und mehr zu einer hin-zu-Motivation kommen.

Es ist wie beim Flötespielen: der Anfang ist schwierig, je besser Sie es können, desto mehr Spaß macht es, je mehr Spaß es macht, desto mehr üben Sie, je mehr Sie üben, desto besser klappt es… und irgendwann werden die Leute Sie bewundern, daß Sie das alles 'einfach so' machen.

Beginnen Sie jetzt, es lohnt sich.

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